- Weltwirtschaft: Neue Mächte, neue Märkte
- Weltwirtschaft: Neue Mächte, neue MärkteSeit dem Ende des Ost-West-Konflikts überlagern nicht mehr geostrategisch-sicherheitspolitische Erwägungen die internationale Wirtschaftspolitik, vielmehr sind ökonomische Themen eindeutig in den Mittelpunkt der Weltpolitik gerückt. Dies umso stärker, als die Weltwirtschaft einen tief greifenden Wandel durchläuft. Dieser Umbruch ist durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet:Die Marktwirtschaft hat sich in weiten Teilen der Welt durchgesetzt — nicht nur in den ehemals kommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas, sondern auch in den meisten Entwicklungsländern. Selbst das kommunistisch geführte China lässt eine »sozialistische Marktwirtschaft« zu. Die mit Abstand stärkste Verbreitung haben jedoch verschiedene Varianten der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die auf das freie Spiel der Marktkräfte setzt, gefunden. Allerdings zeichnet sich seit Mitte der Neunzigerjahre eine Tendenz ab, die sozialen Härten dieser Politik wieder stärker abzufedern.Die fortschreitende Liberalisierung der internationalen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalströme hat zur Globalisierung geführt, die vom Phänomen einer zunehmenden Regionalisierung der Weltwirtschaft begleitet wird (»Handelsblöcke«). Eine Folge der wachsenden internationalen Verflechtung der Volkswirtschaften ist die Verschärfung des weltweiten Wettbewerbs — unter einer größer werdenden Zahl annähernd gleichwertiger Konkurrenten. Die führenden Industrieländer, das heißt die G7-Staaten USA, Kanada, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien (seit Juni 1997 gehört dieser seitdem als G8 bezeichneten Gruppe Russland als Vollmitglied an), haben nach Abschluss der Wiederaufbauphase in der Folge des Zweiten Weltkriegs und nach dem erfolgreichen Aufholprozess Westeuropas und Japans seit Mitte der Achtzigerjahre relativ ähnliche Entwicklungsniveaus erreicht — freilich nach wie vor mit den USA als der führenden Wirtschaftsmacht. Ernst zu nehmende Konkurrenz ist diesen Staaten durch eine Reihe Schwellenländer in Lateinamerika — beispielsweise Mexiko, Brasilien — und Ostasien erwachsen. Neben den »vier kleinen Tigern« Hongkong, Singapur, Taiwan und Süd-Korea ist in Südostasien eine zweite Generation stark exportorientierter Länder — Malaysia, Indonesien, Thailand sowie die Volksrepublik China in einer Sonderstellung — entstanden, die den westlichen Industrieländern auf den Weltmärkten zu schaffen macht, besonders bei Industriegütern schwacher bis mittlerer Technologieintensität. Allerdings hat das »asiatische Wunder« Ende der Neunzigerjahre einen starken Dämpfer erhalten. Schließlich drängen gerade auch in diesem Bereich die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas auf den Weltmarkt. Nachdem sie infolge des Zusammenbruchs der sozialistischen Planwirtschaft zu Beginn der Neunzigerjahre schmerzhafte ökonomische Anpassungsprozesse — wie Massenentlassungen aufgrund der Privatisierung staatlicher Unternehmen, Bekämpfung von Hyperinflation — durchlaufen mussten, konnten vor allem Ungarn, Polen und Tschechien ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Ähnlich wie in Ostasien verschafft eine gesteigerte Produktivität, verbunden mit vergleichsweise geringen Lohnkosten, diesen Ländern Wettbewerbsvorteile im internationalen Handel. Dieser Mix wirkt zugleich als Magnet für ausländische Direktinvestitionen, zumal diese Länder auch als Absatzmärkte zunehmend an Attraktivität gewinnen.Die Weltkonjunktur wurde und wird nach wie vor stark geprägt von den westlichen Industrieländern, allen voran von den USA. Das durchschnittliche reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts der in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammengeschlossenen Länder betrug im Zeitraum von 1986 bis 1990 1,8 Prozent pro Jahr, zwischen 1991 und 1995 1,7 Prozent. Obwohl das Wachstum in den G7-Ländern mit 3,3 Prozent bzw. 1,9 Prozent stärker ausfiel, lagen die Werte noch unter denen der »Krisenzeit« 1973 bis 1985.Infolge der neoliberalen »Rosskur« unter Präsident Ronald Reagan war es in den USA 1982/83 zu einer tiefen Rezession gekommen. Danach setzte jedoch ein mehrjähriger Aufwärtstrend ein. Gegen Ende der Achtzigerjahre zeichnete sich — gemäß dem wellenartigen Verlauf von Konjunkturzyklen — ein Konjunkturrückgang ab. Damit zugleich auftretende inflationäre Tendenzen wurden verstärkt, als infolge der irakischen Invasion in Kuwait im August 1990 der Weltmarktpreis für Rohöl anzog. Die amerikanische Zentralbank reagierte mit Erhöhungen des Leitzinses, hemmte damit aber die Investitionstätigkeit und würgte so die Konjunktur in den Vereinigten Staaten ab.Seit Mitte der Neunzigerjahre verzeichnet die amerikanische Wirtschaft jedoch wieder ein solides und vor allem konstantes Wachstum, das — zudem bei relativ geringer Inflation — von einem Abbau der Arbeitslosigkeit begleitet wird. Ende der Neunzigerjahre sank die Arbeitslosenquote sogar deutlich unter 5 Prozent. Der positive Verlauf der amerikanischen Wirtschaftsentwicklung spiegelt den weitgehend gelungenen Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft wider. Präsident Clinton, seit 1993 im Amt, hat die seit den frühen Achtzigerjahren begonnene Liberalisierung der Wirtschaft fortgeführt. Als historische Leistung gilt, dass Clinton zusammen mit dem Kongress ein enormes Haushaltsdefizit, das Mitte der Achtzigerjahre über 5 Prozent des Bruttosozialprodukts erreicht hatte, vollständig abgebaut hat. Damit wurden zum einen die Kapitalmärkte entlastet und die Investititionstätigkeit angeregt, zum anderen schuf die weitere Einschränkung staatlicher Sozialleistungen zusätzliche Beschäftigungsanreize für erwerbsfähige Personen. Kritiker bemängeln allerdings die teils schlechte Qualität vieler dieser neu geschaffenen Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor (»McJobs«).Japan konnte wie schon in den vorangegangenen Jahrzehnten auch von der Mitte der Achtziger- bis zum Beginn der Neunzigerjahre die höchsten Wachstumsraten unter den führenden Industrieländern erzielen. Zwischen 1992 und 1995 schlitterte die japanische Wirtschaft allerdings in eine ungewöhnlich lang dauernde Rezession, die strukturelle Schwächen offen legte, vor allem im Finanzsektor. Da sich die Regierung als weitgehend unfähig erwies, die notwendigen Reformen durchzuführen, schwand das Vertrauen in die japanische Wirtschaft und Politik. Die japanische Konjunktur verlief deshalb auch in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre unbefriedigend.Nach dem ausgesprochen schwachen Wachstum in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre gewann die Konjunktur in den Ländern Westeuropas in der zweiten Hälfte wieder an Dynamik. (West)-Deutschland konnte 1990/91 durch den Vereinigungsboom reale Wachstumsraten von bis zu knapp 6 Prozent erzielen. Die Vereinigung Deutschlands zögerte die von den USA ausgehende Rezession in Westeuropa bis 1992/93 hinaus. Verschärft wurde die Krise durch die hohen Haushaltsdefizite in den meisten Ländern und übertrieben hohe Leitzinsen der Deutschen Bundesbank. Da die D-Mark als Leitwährung im Europäischen Währungssystem fungierte, sahen sich die anderen Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU) ebenfalls gezwungen, zur Stabilisierung ihrer Währungen eine restriktive Geldpolitik zu verfolgen. Selbst Staaten wie Italien, die der Geldwertstabilität traditionell nur eine geringe Priorität beimaßen, bekamen so die Inflation in den Griff. Die defizitbedingt starke Nachfrage des Staates nach privatem Kapital sowie die hohen Leitzinsen lähmten jedoch die Investitionstätigkeit und verschärften die Konjunkturflaute. Erst 1996/97 legten die meisten EU-Länder eine spürbar größere Budgetdisziplin an den Tag, um die Konvergenzkriterien für die Teilnahme an der 1999 beginnenden Europäischen Währungsunion zu erfüllen.Entgegen großen Erwartungen zeitigte die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes 1993 unmittelbar keine größeren Wachstumseffekte. Besonders auffällig war dagegen, dass in den meisten westeuropäischen Ländern die Arbeitslosigkeit stark zunahm, selbst nachdem sie das Konjunkturtief Mitte der Neunzigerjahre überwunden hatten. Dieses Phänomen des jobless growth dürfte vor allem auf den durch die Wirtschafts- und insbesondere auch die Sozialpolitik hinausgezögerten Strukturwandel zurückzuführen sein.Strukturwandel zur Dienstleistungs- und InformationsgesellschaftIn den hoch entwickelten Volkswirtschaften belief sich am Ende des 20. Jahrhunderts der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft meist kaum noch auf 5 Prozent, in der Industrie arbeiteten nur noch zwischen einem Viertel und einem Drittel der Erwerbstätigen. Eindeutige Dominanz errang dagegen der Dienstleistungssektor. Die OECD-Länder sind die Vorreiter dieser Entwicklung, die freilich noch nicht in allen Ländern gleiche Dynamik gewonnen hat. Zahlreiche Entwicklungsländer kämpfen noch um den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft.Die Ursachen für den Strukturwandel zur Dienstleistungsökonomie liegen zum einen in einer veränderten Nachfrage. Kontinuierliche Steigerungen des Pro-Kopf-Einkommens in den hoch entwickelten Volkswirtschaften haben dazu geführt, dass sich der Bedarf an Grundnahrungsmitteln und auch nach Gütern aus industrieller Fertigung im Laufe der Jahrzehnte immer leichter decken ließ. Die entscheidenden Triebkräfte auf der Angebotsseite liegen in technischen Basisinnovationen — Erfindungen, die bis zur Marktreife weiterentwickelt werden. Wichtiger noch als neue Produkte sind dabei Verbesserungen der Produktionsmethoden — Prozessinnovationen —, die erhebliche Produktivitätssteigerungen ermöglichen und wiederum Innovationen in anderen Wirtschaftsbereichen auslösen bzw. deren technisches Fundament bilden. Damit geben sie zugleich die entscheidenden Impulse für die Kondratieff-Zyklen — das sind zwischen 40 und 60 Jahre dauernde Konjunkturwellen. Die Basisinnovationen erzeugen bei ihrer Einführung und Verbreitung in der Wirtschaft einen lang anhaltenden Boom (Prosperität). Als Auslöser für den 5. Kondratieff gilt die seit Mitte der Achtzigerjahre boomende Informationstechnik. Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (Multimedia) haben zwar auch stark im privaten Konsum Verbreitung gefunden — unter anderen digitales Fernsehen, electronic banking, Online-Dienste, Internet —, bereits länger im Einsatz und deshalb (noch) von größerer ökonomischer Bedeutung sind jedoch die geschäftlichen Anwendungen dieser neuen Technologien.Seit den Neunzigerjahren hat ein vermeintlich neues Phänomen der wirtschaftspolitischen Debatte ihren Stempel aufgedrückt: die Globalisierung, das heißt die Zunahme der weltweiten Vernetzung ökonomischer Aktivitäten. Die Märkte für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Information sowie für Arbeitskräfte sind internationalisiert und in hohem Maße voneinander abhängig. Diese Interdependenz ist vor allem auf die rasch zunehmende, grenzüberschreitende Mobilität zurückzuführen. Mitnichten handelt es sich um ein völlig neues Phänomen, denn die Weltwirtschaft zeichnet sich bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch eine immer stärkere Verflechtung aus. Entscheidend ist jedoch, dass Verzahnung und Interdependenz seit den 1980er-Jahren noch sehr viel größer geworden sind und so die Wirtschaftspolitik vor neue Herausforderungen stellen. Die Globalisierung wird allgemein als unumkehrbarer Prozess betrachtet, der sich überdies noch selbst verstärkt.Welche Ursachen hat die Globalisierung? Und: Welche Erscheinungsformen nimmt sie an? Seit den Achtzigerjahren hat sich in weiten Teilen der Welt die Marktwirtschaft als effektivstes Modell durchgesetzt, vor allem ihre puristische Variante des angebotsorientierten Neoliberalismus. In diesem Sinne folgte innenpolitischen Reformen zur Stärkung des Wettbewerbs oft auch eine Liberalisierung auf internationaler Ebene, etwa im Rahmen des Welthandelsabkommens GATT. So wurde 1994 erstmals ein internationales Regelwerk für den Handel mit den bisher weitgehend »geschützten« Dienstleistungen geschaffen. Diese und andere institutionelle Absicherungen haben den schon länger anhaltenden Boom des internationalen Handels begünstigt. So fiel der Anstieg des Weltexports von Waren (ohne Dienstleistungen) von 2 Billionen Dollar im Jahr 1980 auf 5 Billionen Dollar 1995 deutlich höher aus als das Wachstum des Weltsozialprodukts.Expansion der Kapitalmärkte und multinationale UnternehmenNoch dramatischer verlief und verläuft die Expansion der Kapitalmärkte — als Folge der fast grenzenlosen Mobilität des Kapitals. Aufgrund Finanzinnovationen hat sich zudem eine Vielzahl neuer Geschäftsmöglichkeiten entwickelt. Nicht nur die Aktienmärkte explodierten — unter anderem stark bedingt durch das Engagement ausländischer Anleger —, auch die Devisenmarktgeschäfte entwickelten eine bislang unbekannte Dynamik: Wurden 1985 umgerechnet rund 190 Milliarden Dollar in Währungsgeschäften an den Börsen von New York, London und Tokio umgesetzt, lag der Umsatz ein Jahrzehnt später bereits bei 1,2 Billionen Dollar. Allerdings konzentrieren sich die Devisengeschäfte sehr stark auf die hoch entwickelten Volkswirtschaften, weshalb nur bedingt von einer Globalisierung im eigentlichen Sinne des Wortes gesprochen werden kann. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den ausländischen Direktinvestitionen.Während in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die führende Wirtschaftsmacht USA ihre Kapitalüberschüsse vor allem in Westeuropa investierte, flossen in den Siebziger- und Achtzigerjahren Direktinvestitionen aus Westeuropa und Japan verstärkt in die USA. In den Neunzigerjahren zirkulierten die Investitionsströme in relativ ausgeglichener Weise zwischen den Ländern der Triade USA/Nordamerika, Westeuropa, Japan/Ostasien. Der Anteil der Entwicklungsländer machte dagegen nur zwischen einem Viertel und einem Drittel der Gesamtinvestitionen aus.Mitte der Neunzigerjahre gab es weltweit rund 37000 multinationale Unternehmen mit insgesamt weit über 200000 Tochtergesellschaften. Die »Multis« und ihre »Töchter« waren für ein Drittel der Weltproduktion zuständig, der Umsatz der ausländischen Tochtergesellschaften überstieg das Volumen des Welthandels um fast ein Viertel. Eine wesentliche Arbeitserleichterung erfahren die Multis durch die rasanten Fortschritte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien.All diese Entwicklungen, die zusammengenommen das Phänomen der ökonomischen Globalisierung bilden, sind nicht ohne Folgen auf die Struktur, die Politik und den Wohlstand in den einzelnen Volkswirtschaften geblieben. Immer mehr Unternehmen werden im Ausland oder sogar weltweit tätig (global players). Dies führt zu verschärftem Wettbewerb und übt vor allem Druck auf die Arbeits- bzw. Lohnkosten aus. Die Tendenz nimmt zu, sich zum Erhalt der eigenen internationalen Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Unternehmen zusammenzuschließen oder zumindest auf bestimmten Feldern zusammenzuarbeiten (strategische Allianzen).Die Finanzmärkte haben sich teilweise von der realwirtschaftlichen Entwicklung, der Waren- und Dienstleistungsproduktion, abgekoppelt. Die im Rahmen dieses »Casino-Kapitalismus« immer häufiger auftretenden Spekulationsgeschäfte — zum Beispiel Nutzung von Wechselkursschwankungen oder von Leitzinsdifferenzen — können eine Hebelwirkung auf reale Werte ausüben. Kurzfristige Bewegungen etwa des Wechselkurses können sich langfristig auswirken, beispielsweise können sie den Abbau von Arbeitsplätzen zeitigen. Die vermeintliche Übermacht privater Kapitaltransaktionen hat zudem den Einfluss der nationalen Politikinstrumente, zum Beispiel der Geldpolitik, geschwächt.Weltweiter StandortwettbewerbDie erhöhte Mobilität der Produktionsfaktoren — wie Rohstoffe, Zwischenprodukte, Dienstleistungen, Kapital und in geringerem Maße Arbeitskräfte — hat einen weltweiten Standortwettbewerb ausgelöst. Die Regierungen sehen sich so unter Druck gesetzt, die Unternehmenssteuern zu senken und verstärkt in die Bildung zu investieren, da dem Produktionsfaktor Arbeit aufgrund seiner geringen Mobilität zentrale Bedeutung im Standortwettbewerb zukommt. Zugleich ist Wissen der wichtigste Input in der modernen Wirtschaftswelt.Neben einem Wettbewerb der Märkte hat sich in den Neunzigerjahren bereits ansatzweise auch ein Wettbewerb der Regierungen entwickelt. Kritiker behaupten, die (multinationalen) Unternehmen hätten bereits mehr wirtschaftspolitische Macht erlangt als die Regierungen und könnten diese beispielsweise bei ihren Standortentscheidungen gegeneinander ausspielen. Eine Alternative zur rein nationalstaatlichen Politik böte deshalb die verstärkte Kooperation zwischen Regierungen wie etwa die Ende der Neunzigerjahre in die Diskussion gebrachte Harmonisierung der Einkommen- und Körperschaftsteuersätze in den Mitgliedsstaaten der EU.Regionalabkommen zur WirtschaftsintegrationParallel zur Globalisierung zeichnet sich die Weltwirtschaft durch eine zunehmende Regionalisierung aus: Einzelne Länder schließen Abkommen zur intensiveren Kooperation und zur Integration ihrer Volkswirtschaften. Diese Entwicklung bildet auf den ersten Blick einen Widerspruch zur Globalisierung, ist tatsächlich jedoch eine entwicklungsbedingte Ausfüllung und Differenzierung der weltweiten Verflechtung. Das bekannteste Beispiel für regionale Zusammenschlüsse ist die EU. 1957 von sechs Staaten — der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg — gegründet, bildete die ursprünglich Europäische Wirtschaftsgemeinschaft genannte EU zunächst eine Freihandelszone, indem die Zölle und andere Handelshemmnisse zwischen den Mitgliedsländern abgebaut wurden. 1967 wurde mit der Schaffung eines gemeinsamen Außenzolls die Stufe der Zollunion erreicht, seit 1993 gibt es den Europäischen Binnenmarkt. Auf diesem gemeinsamen Markt herrscht vollständige Faktormobilität: Waren und Dienstleistungen, Kapital sowie auch Arbeitskräfte müssen die Grenzen der Mitgliedsstaaten frei und ungehindert überschreiten dürfen. Darüber hinaus werden bestimmte Normen einander angeglichen, so beispielsweise Gesundheits- und Qualitätsstandards. 1999 bildeten elf der inzwischen 15 EU-Mitgliedsländer die Europäische Währungs- und Wirtschaftsunion mit der gemeinsamen Währung Euro. Bei dieser höchsten Stufe der regionalen Integration harmonisieren die Mitglieder ihre nationalen Politiken, insbesondere die Fiskal- und Geldpolitik.In der EU ist nicht nur die institutionelle, sondern auch die faktische Integration am weitesten fortgeschritten: Die Mitgliedsländer wickeln inzwischen rund drei Viertel ihres Außenhandels untereinander ab. Die anderen Regionalabkommen in der Weltwirtschaft befinden sich meist noch auf der Stufe von Freihandelszonen oder Zollunionen. Zu den wichtigsten Abkommen dieser Art zählt die 1994 in Kraft getretene Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA), weil hier neben Kanada und Mexiko die führende Wirtschaftsmacht USA beteiligt ist. Seit Mitte der Neunzigerjahre verhandelten die Mitglieder von NAFTA mit den Ländern Mittel- und Südamerikas über die Schaffung der Amerikanischen Freihandelszone »von Alaska bis Feuerland« bis zum Jahr 2010 (FTAA). Auch im pazifisch-asiatischen Raum gibt es ähnliche Bestrebungen zu einer vertieften wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit. Die NAFTA-Mitglieder, Chile sowie 14 ost- und südostasiatische Länder haben sich zu einem Diskussionsforum für Asiatisch-Pazifische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (APEC) zusammengeschlossen, um bis spätestens zum Jahr 2020 den möglichst vollständigen Abbau gegenseitiger Handelshemmnisse zu erreichen.Wirtschaftskrise in OstasienSeit den Achtzigerjahren scheint sich immer mehr ökonomisches Potenzial in Ostasien zu konzentrieren, was weithin Prognosen genährt hat, das 21. Jahrundert werde ein »asiatisches Jahrhundert« werden. Zudem scheint mit der Volksrepublik China, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde, ein neuer Wirtschaftsgigant zu entstehen.Neben der Exportstärke der ostasiatischen Volkswirtschaften, die zudem als Magnet für Direktinvestitionen aus den westlichen Industrieländern wirkten, war ein weiteres Zeichen für den Boom in Ostasien das extreme Florieren der Aktienmärkte, vor allem in Hongkong. Mit Börsencrashs und Abwertungen einzelner ostasiatischer Währungen nahm indes die große Krise von 1997/98 dort auch ihren Ausgang. Und — ähnlich wie zuvor schon in Japan — übertrug sich die Krise des Finanzsektors auf die gesamte Wirtschaft. Die krisengeschüttelten Länder erhielten eine »Dollarspritze« in zweistelliger Milliardenhöhe vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, mussten sich damit aber zugleich zu tief greifenden, teilweise auch politischen Strukturreformen verpflichten. Die Volksrepublik China blieb von der Krise weitgehend verschont. Die totalitäre Führung der Kommunistischen Partei hatte seit Ende der Siebzigerjahre marktwirtschaftliche Reformen durchgeführt, die dem Land zweistellige reale Wachstumsraten bescherten. Gemessen am Bruttosozialprodukt war die Volksrepublik China Ende der Neunzigerjahre die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und erhielt 1997 zusätzliches ökonomisches Potenzial durch die staatliche Wiedereingliederung Hongkongs, musste allerdings auch zunehmend mit verschiedenen Strukturproblemen kämpfen. Ausgehend von der tiefen Rezession in Japan Mitte der Neunzigerjahre und gefolgt von der Asienkrise am Ende des Jahrzehnts, wurde das asiatische Wirtschaftswunder stark relativiert. Statt eines unaufhaltsamen Aufstiegs einer bestimmten Region zeichnete sich vielmehr ab, dass die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert mehrere Zentren aufweisen wird — ganz im Zeichen von Globalisierung und Regionalisierung. Bereits in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kristallisierte sich eine Triade Nordamerika-Westeuropa-Ostasien heraus: Das Führungstrio USA-Deutschland-Japan wird dabei umgeben von einer Reihe von Volkswirtschaften mit teils unterschiedlicher, insgesamt aber doch relativ ähnlicher Leistungsstärke. Insofern scheint die Prognose des amerikanischen Politikwissenschaftlers Peter J. Katzenstein am wahrscheinlichsten: »Das 21. Jahrhundert wird niemandem gehören.«Lutz Frühbrodt M.A.Kennedy, Paul M.: In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen. Sonderausgabe Frankfurt am Main 1997.Matis, Herbert / Stiefel, Dieter: Die Weltwirtschaft. Struktur und Entwicklung im 20. Jahrhundert. Wien 1991.Reich, Robert B.: Die neue Weltwirtschaft. Das Ende der nationalen Ökonomien. Aus dem Englischen. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1997.
Universal-Lexikon. 2012.